Pia's Flug in die Freiheit
Die Wanderfalken-Dame wird auf dem Skywalk am Sonnenstein vier Monate nach ihrer Verletzung am Flügel freigelassen
Holungen Es ist ein Abschied. Aber kein trauriger, sondern ein hoffnungsvoller. Falknermeister Nico Linke hofft darauf, von Pia das nächste Mal zu hören, wenn sie einen Nistplatz gefunden hat. Pia ist eine Wanderfalken-Dame, die schwer verletzt am 25. Januar dieses Jahres bei Bleicherode gefunden wurde. „Ein Flügel war fast komplett abgerissen. Wir vermuten, dass sie in einem Stacheldraht oder etwas ähnlichen hängen geblieben ist“, sagt Nico Linke, während der Vogel auf seinem Arm sitzt. Der Wanderfalke ist völlig ruhig, bewegt nur seinen Kopf hin und her. Pia trägt eine Haube, die das möglich macht. Ohne sie, wäre sie nicht so gelassen, würde sich bewegen wollen. Wegen der Verletzung konnte Pia nicht jagen und war entsprechend ausgehungert – etwa ein Drittel weniger Gewicht als heute hatte sie damals. Allein hätte sie nicht überlebt und auch beim ersten Tierarztbesuch in Leinefelde stand die Frage im Raum: Lohnt sich eine Rehabilitation? Nach der Heilung wurde trainiert. Pia sollte überleben und so hieß es zuerst, die Verletzung zu versorgen. Dafür musste der Flügel komplett ruhig gestellt werden. „Nicht ganz einfach bei einem Wanderfalken“, sagt Nico Linke. Aber auch hier kam wieder die lederne Haube ins Spiel.
Als der Flügel geheilt war, musste Pia wieder fliegen lernen. „Der Wanderfalke ist wie ein Hochleistungssportler. Nach zwei Monaten ohne Training ist die Muskulatur nicht mehr vorhanden“, erklärt der Falknermeister. „In diesem Zustand hätte Pia nicht die Leistung bringen können, um zu überleben, denn ein Wanderfalke frisst nur kleinere Vögel im Flug. Dazu braucht es Ausdauer und Kraft.“ Also wurde trainiert und zwar mit einem Federspiel, das einen Beutevogel simulieren soll. Damit Pia nicht davon flog, wurde sie an einer Schnur gehalten. Mit der Zeit wurde diese immer länger – erst ein Meter, dann fünf und dann zehn. „Und irgendwann lässt man die Schnur dann weg. Dafür, den richtigen Moment abzupassen, braucht es Gespür und viel Geduld, damit der Wanderfalke auch zu einem zurückkommt. Das kann nämlich auch schief gehen“, erklärt Nico Linke.
Wanderfalken waren ab Ende der 70er Jahre in Thüringen ausgestorben. „Dass es den Vogel hier jetzt wieder gibt, verdanken wir der Zusammenarbeit des Deutschen Falkenordens und den Falkenschützern“, sagt Nico Linke. Einer von ihnen ist Mario Hofmann. Er beringt in ganz Thüringen junge Falken. Auch Pia hat er am 25. Mai 2013 einen solchen Ring im Kreis Saalfeld-Rudolstadt um das Bein gelegt. Er ist einer von zwei Beringern in Thüringen. „Wir versuchen 100 Prozent des Bestandes zu beringen. So erhalten wir immer einen guten Überblick und erkennen die Vögel auch wieder.“
Mittlerweile haben sich die Bestände in Thüringen wieder stabilisiert. Nachzucht und gezielte Auswilderung haben das über viele Jahre geschafft. Aber der Wanderfalke hat auch Feinde. Zu den natürlichen zählt der Uhu. 150 bis 200 Brutpaare gibt es in Thüringen. Aber auch die Nilgans, die als invasive Art verstärkt von Afrika über England nach Deutschland kommt, wird ihm immer gefährlicher. Nicht als Fressfeind, sondern indem sie die Brutplätze des Wanderfalken besetzt und diese aggressiv verteidigt. Und dann ist da noch der Mensch: „Wir hatten schon Vergiftungen hier im Eichsfeld“, sagt Mario Hofmann. „Da haben wir innerhalb von 12 Monaten sieben Falken verloren.“
Alle Beteiligten hoffen, dass Pia überleben wird, dass sie nicht zurück kommt und dass man sie vielleicht an einem der Brutplätze ablesen kann – ihr Ring macht es möglich. „Das wäre toll, da hätte sich die Arbeit gelohnt“, sagt Nico Linke. Mit dem Vogel auf der Hand geht er dann den Skywalk entlang. Mit einem kleinen Seitenschneider zertrennt er den Lederriemen, der Pia an ihn bindet. Er geht in die Hocke, denn es ist sehr windig auf dem Sonnenstein. Einmal atmet er tief ein und richtet sich auf.
Und dann geht alles ganz schnell. Nico Linke nimmt Pia die Haube ab. Der Vogel schaut sich kurz um und stößt sich dann vom ausgestreckten Arm des Falkners ab. Nico Linke schaut ihr nach, wie sie im böigen Wind die ersten Flügelschläge in ihrer wiedergewonnenen Freiheit macht.
„Jetzt hab ich richtig Gänsehaut“, sagt er, immer noch den Blick in den Himmel gerichtet. Bald ist der Wanderfalke verschwunden, auch wenn Nico Linke sie noch einmal zu erkennen glaubt.